Giorgio Morra

Ghostworker - Die Wanderarbeiter am Klärwerk in Dinslaken

"Das fotografische Projekt „Ghostworker“ gibt Einblicke in den Alltag einer Gruppe von Wanderarbeitern, die beim Umbau am Klärwerk in Dinslaken tätig sind. Über diese von Subunternehmern beschäftigten Menschen ist in der Regel nichts bekannt, sie verschwinden nach Abschluss ihrer jeweiligen Arbeiten zu anderen, oft weit entfernten Einsatzorten.

Aufgrund der Größe der Klärwerkbaustelle sind etwa 100 Arbeiter in den Erneuerungs- und Erweiterungsprozess eingebunden. Neben deutschen Arbeitskräften sind solche aus verschiedenen europäischen Ländern beschäftigt. Sie leben in wechselndem Rhythmus für ein bis zwei Wochen in angemieteten Wohnungen oder Wohncontainergruppen zusammen und reisen an den Wochenenden in kleinen Fahrgemeinschaften nach Hause, z.B. nach Portugal oder Polen. Wie beispielsweise nach Polen.
Dies hat zur Folge, dass zwei Lebenswelten getrennt voneinander existieren: die eine Welt mit Familie und Kindern im Eigenheim, die andere mit Kollegen im Gemeinschaftszimmer oder im Bully und auf der Baustelle. Die Unmöglichkeit, Brücken zwischen beiden Welten zu schlagen, führt bei den Arbeitern zu einer ständigen Rastlosigkeit und Getriebenheit. Das emotionale Erleben pendelt zwischen Hoffnung, Freude und Wiedersehen auf der einen und Verlust, Sehnsucht und Abschied auf der anderen Seite. Die Aussicht auf etwas materiellen Wohlstand wird mit starken Einbußen im seelischen Wohlergehen erkauft. Durch die Entwurzelung aus ihrem familiären Umfeld und der „entfremdeten“ Arbeit entsteht eine Entwertung beider Lebenswelten. Den Wanderarbeitern fällt es schwer, sich mit dem Bauprojekt oder dem heimatlichen Umfeld wirklich zu identifizieren.
Durch das ständige Reisen beschränkt sich das alltägliche Leben größtenteils auf Arbeiten, Essen und Schlafen. Auch wenn die Wanderarbeiter wieder in der Heimat sind und Entspannung einsetzen sollte, ist der Gedanke an die Arbeit in der nächsten Woche allgegenwärtig, und das Verlangen nach Veränderung der beruflichen Situation ist groß. Der Traum von einem Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe der Heimat ist stets im Hinterkopf. Durch die erhebliche Differenz zwischen der wirtschaftlichen Lage und damit auch den finanziellen Möglichkeiten in beiden Ländern bleibt dieser Wunsch allerdings schwer erfüllbar.

Ziel meiner Arbeit ist es, durch den Blick auf das Individuelle und Private des einzelnen Arbeiters dem unüberschaubar komplexen Prozess des Emscherumbaus ein konkretes menschliches Gesicht zu geben. Die verschiedenen Geschichten sollen darauf hinweisen, welchen Preis Wanderarbeit fordert: Die Menschen nehmen ein stark eingeschränktes, fremdbestimmtes Leben auf sich, um der Familie in der Heimat ein besseres Leben und Möglichkeiten selbstbestimmten Seins zu verschaffen. Denjenigen, die zukünftig die Annehmlichkeiten der renaturierten Emscher genießen, könnte das Projekt „Ghostworker“ einen Einblick in deren Entstehungsgeschichte vermitteln."
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Giorgio Morra und bei dem Emschergenossenshaft