Nanna Heitmann

Weg vom Fenster- Das Ende einer Ära

Kaum einer anderen Industrie als der Kohlenproduktion haftet ein solcher Mythos an: Es war der Kohlebergbau, der zunächst Deutschlands Teilhabe an der industriellen Revolution ermöglichte und der nach dem zweiten Weltkrieg maßgeblich zum deutschen Wirtschaftswunder und zur Entwicklung heutiger Schlüsselindustrien beitrug.
Der Bergbau ist aber nicht nur Ursprung deutscher Wirtschaftskraft, sondern er hat einer ganzen Region, dem „Kohlenpott“ eine eigene Kultur und den Menschen dort eine besondere Identität verliehen.
Das ist Geschichte. 2018 schließt mit Prosper Haniel die letzte Zeche.
Etwa 2.500 noch tätige Bergmänner verlieren dann endgültig ihre Arbeit. Abertausende haben dann die durch Dunkelheit, Schweiß und Gefahren verschworene Gemeinschaft verlassen. Die Jungen schulen um, die „Alten“ gehen mit 49 in Frührente. Die meisten aber versuchen, so lange wie möglich zu bleiben; doch ist der Tag des Abschieds gekommen, versammeln sie sich ein letztes Mal in einem kleinen Hinterzimmer des Förderturms. Es gibt Döner und ein „Arschleder“ auf dem jeder der Kumpels signiert.
Bergbausiedlungen, die zu Geisterstädten werden, Berge von aufgelassenen Kohlehalden und mehr als 150 stillgelegte Zechen bleiben zurück. Die alten Fördertürme ragen ins Nebelgrau oder seit einigen Jahren auch wieder in den blauen Himmel. All dies ist, genauso wie die Ehrengarde Prosper-Haniel – einer der letzten Bergmannsvereine – nur noch ein Relikt der schmutzigen und gleichzeitig prosperierenden Vergangenheit im Pott.
Einst zog der Kohlebergbau unzählige Menschen aus ganz Deutschland und Gastarbeiter aus der Türkei, Italien und Polen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben an. Dem harten Arbeitstag in Staub und Dreck entflohen viele Kumpel nach Feierabend in ihr eigenes, liebevoll selbst gestaltetes kleines Glück: Swimming Pools in den Arbeitersiedlungen, gepflegte Schrebergärten und die kleine Taubenzucht unterm Dach waren und sind typische Zeitvertreibe.
In der Ehrengarde, dem Bergmannsverein der letzten Zeche „Prosper Haniel“, versammeln sich die pensionierten Steiger und bewahren gemeinsam Erinnerungen und Traditionen. Der Nachwuchs fehlt. Denn die meisten jungen Männer müssen lange Reisen auf sich nehmen, um hier in die Tiefe einzufahren. Früher haben sie in mittlerweile geschlossenen Zechen anderswo im rheinischen Revier oder an der Saar gearbeitet. Nach der Schicht wollen sie schnell zurück zu ihrer Familie, das Vereinsleben ist da keine Verlockung.
Die Alten sind gezeichnet von Jahrzehnten harter Maloche. Kaputte Knie, Bandscheibenvorfall und Staublunge sind die typischen und häufigen Symptome. Im schlimmsten Fall führt der eingeatmete Kohlenstaub, wie bei Kumpel Alfons, zur bösartigen Form der Staublunge – unheilbarer Lungenkrebs.
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