Thomas Wolf

leicht und weit; Brücken im neuen Emschertal

Das Ruhrgebiet ist eine einzigartige Brückenlandschaft. Fast 10000 Brücken bilden hier ein dichtes Netz aus Schienen, Leitungen und Wasserläufen, das, aus der Luft betrachtet, aussieht wie die Adern eines Organismus. Ein Gefäßsystem, das an Venedig und Amsterdam erinnert, aber hier durchdringen die Brücken nicht nur eine Stadt, sondern eine ganze Region. Dieses Gefäßsystem ist in einer zwei Jahrhunderte dauernden Industriegeschichte entstanden. Verschiedenartigste Brückenkonstruktionen dienten dem Transport von Energien der Montanzeit: Menschen, Güter, Erz, Kohle, Öl, Gas und Strom. Aber sie überbrückten nur, was für den Kreislauf der Produktion bedeutsam war. Für den Menschen war diese Landschaft nicht mehr als Ganzes erfahrbar: Er erlebte sie als zerrissene und verbotene Landschaft.
Mit dem Niedergang der Montanindustrie kamen auch große Teile des Gefäßsystems zum Stillstand. Dieser wirtschaftliche Stillstand wurde als Chance für den Menschen erkannt. Man riss das Netz der Verkehrswege und Brücken nicht ab, sondern öffnete es für die Menschen. In den 1990er Jahren begannen die IBA-Emscherpark, der RVR (früher KVR) und die Emschergenossenschaft auf stillgelegten Trassen und Deichen der Industrie ein Netz von Wander- und Fahrradwegen anzulegen. Der Bau neuer und die Sanierung alter Brücken wurde in diesem Prozess zum Symbol dafür, dass die zerrissene Landschaft für den Menschen wieder begehbar und körperlich erfahrbar wird. Aus Wirtschafts-Wegen werden Menschen-Wege.
Die von den Architekten Schlaich, Polonyi, Frei Otto, Foster, Hegger und Schleiff, Wörzberger, Pahl und Weber-Pahl u.a. entworfenen neuen Brücken verbinden nicht nur die Landschaft, sondern fordern die Menschen auch zum Verweilen auf. Denn Brücken sind stets auch herausragende Orte: Man kann von ihnen die Landschaft von oben erleben. Der hoch gelegte Standort bewirkt das Gefühl von Erhabenheit und ermöglicht den weiten Blick.
Die Ausstellung „leicht und weit – Brücken im Neuen Emschertal“ ist eine Phänomenologie der Region als einer Brückenlandschaft im historischen Moment ihrer Metamorphose. Keine Aneinanderreihung von Architekturaufnahmen, sondern Fotografien, die zeigen, wie die Brücken die durch die Industrialisierung zerstörte Landschaft wieder für den Menschen als eine Ganzheit erlebbar machen, in der Technik und Natur, Schönheit und Zweckdienlichkeit, Geschichte und Gegenwart sich miteinander verbinden.
Die Ausstellung ermutigt uns, die Schönheit dieser einzigartigen Industrielandschaft zu entdecken: in den faszinierenden großformatigen Farbfotografien von Thomas Wolf, die dem Betrachter das Gefühl geben: Du stehst mittendrin.

Peter Pachnicke


„Die Entstehung des Emscher Landschaftsparks ist eines der größten Landschaftsgestaltungsprojekte der Welt – und die Brücken sind darin die Orte, von denen aus wir diese gewaltige Veränderung beobachten können.“
Roland Günter
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Thomas Wolf

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