Walter Schernstein

LandSchaft

Walter Schernstein schafft mit dem Medium der Fotografie Bilder, die das Land, vorzugsweise das, in dem er lebt, zum Thema haben - in diesem Sinne sind es Landschaften und der Künstler ein Landschaftsfotograf. Der Betrachter erfährt jedoch in der Anschauung der Arbeiten eine andere Art von Landschaftsfotografie als jene herkömmliche, deren Verwendung bis hinein in den privatesten Bereich reicht. Fast erscheint es, als seien alle Kriterien aufgehoben, die ein klassisches Verständnis von Abbild tradieren. Denn Schernsteins Landschaftsbilder besitzen weniger realistische oder dokumentarische als vielmehr abstrakte Qualitäten. Dennoch erkennen die Betrachter die Orte in den Fotografien wieder, da sie oft in Verbindung mit Industrie, Straßen oder Stadtsilhouetten aufgenommen sind.
Die Auseinandersetzung des Fotografen Schernstein mit dem Thema Landschaft ist gleichzeitig immer auch begleitet von einer künstlerischen Fragestellung zu Zeit, Ort, Raum und Bewegung. Dennoch bleibt die fotografische Umsetzung Schernsteins immer auf das natürliche Objekt gerichtet, so wie er es vorfindet, und verzichtet auf jeden inszenatorischen oder konstruierenden Eingriff. Er gestaltet eine neue Bildwelt im Sinne der bilderzeugenden Fotografie, wobei er zugleich weiter an der gegebenen Realität festhält. Der unauflösbare Widerspruch zwischen der scheinbaren Objektivität des Ob-jek-tivs und der faktischen Subjektivität, die durch die Auswahl, den Ausschnitt und den Zeit-punkt der Aufnahme durch den Foto-grafen entsteht, wird in seinen Arbeiten evident
Am einmal ausgewählten Motiv entwickelt Schernstein unter den Aspekten von künstlerischem und technischem Prozess seine Bilder. Die Fotografien, meist entstanden im Zwischenlicht der Dämmerung, schließen auch Faktoren von Zeit und Raum in das Dargestellte mit ein und lassen durch das Objektiv eine Abbildung entstehen, die es dem Betrachter möglich macht, den Ort, die Dinge und die Wahrnehmung neu zu erfahren.
Walter Schernstein zeichnet durch Langzeitbelichtungen mit der Kamera die Zeit auf, um sie als prozesshafte Lichtspur dem Landschaftsmotiv zuzuordenen. Darüber hinaus suggeriert er durch bewusste Unschärfeeinstellungen beim fotografischen Akt Bewegungen im Bild, die im Kontext der Landschaften räumlichen Charakter gewinnen.
Daraus resultiert ein Abbild ohne Abbildcharakter mit dem Resultat einer Abstraktion, die völlig neue Seherfahrungen möglich macht. Der Betrachterblick verweilt nicht an Details, sondern konzentriert sich unmittelbar auf die fotografische Bildstruktur. Er ist ständig bemüht, das Dargestellte zu fokussieren, was zu einer sehr intensiven, nahezu angestrengten Betrachtungsweise führt. Das Abbild der Landschaft und des Motives rückt nicht in die distanzierte Betrachtung der Ferne, sondern findet sich unmittelbar an der Bildoberfläche. Diesen besonderen Charakter verstärkt Schernstein durch die fototechnische Umsetzung auf mattes Fotopapier in hochgezogenen Formaten, die eine fast malerische Textur aufweisen. Die Oberflächen seiner Fotografien zeigen eine Stofflichkeit und Samtigkeit, die durch die Körnung und Auflösung der Bildmotive verstärkt wird. Der Bildraum öffnet sich und das Foto gewinnt den Ausdruck eines Raumkörpers.
Die künstlerischen Fragestellungen zum Raum und Umraum verfolgt Schernstein im Weiteren durch die Installierung seiner fotografischen Arbeiten in fast architektonischen Zusammenhängen. Manche seiner Arbeiten sind zu Wandinstallationen zusammengefaßt, andere besetzen in Lichtkästen den Bodenbereich oder definieren einen umlaufenden Fries wie im Wasserturm in Viersen. Die raum- und zeitbezogenen Faktoren werden in diesen Installationen noch betont und leiten über zu neuen Begriffen von Landschaft.
In diesem Sinne sind die Fotografien von Walter Schernstein Dokumentationen einer Realität, die wir anders als in seinen Bildern nicht erkennen können und die in besonderer Art Landschaft - hier die Industrielandschaft des Ruhrgebietes - als Erfahrung von Raum, Ort, Umraum, Zeit und Geschichtlichkeit sowie der immer auch persönlichen und damit subjektiven Erfahrung um Empfindung des Künstlers wahrnehmbar macht.
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Walter Schernstein