Thomas Wolf

Die Emscher-Faszination eines ungeliebten Flusses

Es sind vor allem fotografische Bilder, die uns in den vergangenen Jahren die eigenwillige Schönheit und den Wert der Industriekultur sichtbar gemacht haben. Längst nehmen wir Fördertürme, Hochöfen, Gasometer und Halden als Kathedralen, Burgen und Berge des Ruhrgebiets wahr. Vieles aber, was eine Landschaft bildet, gilt es noch zu entdecken. Da sind die Rohrleitungen, Straßen, Eisenbahnlinien und Wasserwege, die - sich geradezu futuristisch verzweigend und durchdringend - die Lebensadern der Region bilden. Vor allem deren Hauptschlagader - die Emscher - , die durch hohe Deiche gebändigt ist und durch einen 80 Kilometer langen Stacheldrahtzaun unseren Blicken entzogen wird, ist ein noch weitgehend unentdeckter Fluss.

Der Architekturfotograf Thomas Wolf zeigt uns in seinen Bildern diesen ungeliebten Fluss als eines der eindrucksvollsten Wasserlandschaftsbauwerke der Welt, mit seinen Kanälen, Rohrleitungen, Pumpwerken und Kläranlagen - als Verdauungssystem des Ruhrgebiets. Die Zähmung der Emscher - zeigen uns die Fotografien und Videobilder - hat eine faszinierende Formenvielfalt der Architektur, Natur und Landschaft hervorgebracht, die unerkannte Schönheit in sich trägt.

Es ist der holländische Blick mit dem Thomas Wolf uns in seinen Fotografien die streng geometrisch geformten Deiche der Emscher zeigt. Er lässt uns ahnen: Wenn diese Emscher einmal von ihrem Schmutz gereinigt ist, werden Spaziergänger und Radfahrer den weiten Blick in die Landschaft - wie von den Deichen der Nordseeküste und an der holländischen Küste - genießen.

Bernhard Mensch, Caroline Schumacher, Peter Pachnicke



Auf der Suche nach der neuen Emscher





"Die Emscher eine hässliche Kloake, die man am besten unter der Erde verschwinden lässt? Als holländischer Landschaftsarchitekt sah ich im Winter 1995 zum ersten Mal die Emscher von einer Halde der Zeche Hannover, wo der Fluss besonders hohe Deiche hat. Man mag es nicht glauben, aber ich fand den Fluss schön: salzhaltig, als wäre er mit der Nordsee verwandt, bei Regen anschwellend wie ein Gebirgsbach, die Grünzüge als sein landschaftliches Rückgrat und dann sein geometrisch klarer Linienverlauf. Damals hat es mich gepackt. Seither bin ich auf der Suche nach der neuen Emscher, auf die man stolz sein kann."
(Noël van Dooren)

Der Emscher Landschaftspark ist erst im Entstehen. Er hat zwar schon seine von Landschaftsgestaltern und Künstlern transformierten Fördertürme, Hochöfen, Gasometer und Halden, die als Landmarken in den Landschaftskörper weithin sichtbare Zeichen setzen. Aber der Fluss, der dem Park seinen Namen gibt, die Emscher, ist eine 80 Kilometer lange - von Stacheldraht eingezäunte Kloake - die die Landschaft verletzt hat. Man ist sich der Nützlichkeit dieses Flusses bewusst – weil er Schutz vor der Gewalt des Hochwassers bietet und den Schmutz der ganzen Region abführt – aber man identifiziert sich nicht mit ihm, liebt ihn nicht und spricht ihm jede Schönheit ab.

Diese Emscher mit ihren Betonbecken, ihren Pump- und Klärwerken ist ein ingenieurtechnisches Meisterwerk einer ganzen Generation – und eine weitere Generation wird es dauern, bis die Emscher gereinigt und wieder zu einem blauen Fluss wird. Das Schmutzwasser soll in einem 400 Kilometer langen Röhrensystem mit den modernsten Technologien des bergmännischen Vortriebs bis 2012 unter die Erde verlegt werden, bis 2025 erhält dann die nur noch Regen-, Quell- und Reinwasser führende Emscher ihre neue Gestalt. Das ist nicht nur eine gewaltige ingenieurtechnische, sondern auch landschaftsgestalterische Herausforderung. Schließlich muss für den Fluss eine Gestalt erfunden werden, die die zerrissene Landschaft wieder vereinigt, ein Tal bildet, das die sieben kostbaren Grünzüge von Ost nach West landschaftlich verbindet und die bewirkt, dass die Städte ihr Gesicht wieder dem Fluss zuwenden. Eine Vision, an deren Verwirklichung die Emschergenossenschaft seit den 90er Jahren arbeitet im Zusammenwirken von Wasserwirtschaftlern, Ingenieuren, Stadtplanern, Landschaftsgestaltern und Künstlern.

Dieser Emscherumbau ist keine idyllische Nachbildung der ursprünglichen Bruchlandschaft, sondern die Transformation einer Industrielandschaft, in der Natur, Technik und Mensch auf wunderbare Weise schöpferisch miteinander verwachsen. Wie uns die fotografischen Bilder von Thomas Wolf zeigen, hat diese Emscher als faszinierender ingenieurtechnischer Organismus nicht nur eine eigene landschaftliche Schönheit hervorgebracht, sondern auch eine fantastische, vielfältige Industrienatur.

Peter Pachnicke
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Thomas Wolf

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