Annette Jonak

Der Stand der Dinge. Bruckhausen #2 (2011-2015)

Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde der (damals Hamborner) Stadtteil Bruckhausen von August Thyssen errichtet, um die Arbeiter seiner damals neuen Kokerei und des Stahlwerks in der Nähe des Arbeitsplatzes unterzubringen. Es war zu dieser Zeit der am schnellsten wachsende Stadtteil. Die Einwohnerzahl stieg innerhalb von 40 Jahren um das 40-fache und Bruckhausen galt lange als Musterbeispiel für ''den Stolz und die Zuversicht der Gründerzeit'' sowie als ''Amüsiermeile'' des Ruhrgebiets; zugleich aber war der Stadtteil mehrfach von Erweiterungen des Werksgeländes betroffen. Als erster deutscher Stadtteil stellten hier türkische Migranten die Bevölkerungsmehrheit.
Durchquert man heute Bruckhausen, so sind deutliche Veränderungen unübersehbar: inmitten des „Zentrums“ klaffen Brachen wie Zahnlücken in den Straßenzügen der Gründerzeit.
Bruckhausen ist u. a. für die Stadt Duisburg ein Stadtteil mit „komplexer Problemlage“ (1) und wird seit gut zehn Jahren von Stadt, Land, Bund und Europäischer Union durch das Strukturentwicklungsprogramm „Soziale Stadt“ gefördert. 2007 wurden schließlich umfassende städtebauliche Sanierungsmaßnahmen beschlossen: das Projekt „Grüngürtel Duisburg Nord“, das neben Bruckhausen auch Beeck und Marxloh umfasst, soll einen Erholungspuffer zwischen dem emissionsstarken Stahlwerk von Thyssen Krupp Steel und dem Stadtteil schaffen. Die Stadt Duisburg verspricht sich eine Verbesserung von Image und Lebensqualität.
Bruckhausen leidet heute unter Leerstand, eine Belebung der Raumnachfrage scheint nicht mehr realisierbar, die Flächensanierung die einzige Möglichkeit, um der voranschreitenden „Devastierung“ (2) entgegenzutreten.
Flächensanierung meint den großflächigen Abriss von Altbausubstanz, im konkreten Fall den Rückbau des halben Stadtteils, ca. 175 Häuser mit insgesamt 500 Wohnungen.
Einen vergleichbaren städtebaulichen Kahlschlag hat es seit Jahrzehnten bundesweit nicht mehr gegeben. Die neue Rasenfläche wird allerdings nicht von allen freudig begrüßt. „Eine fast singuläre baugeschichtliche Bedeutung“ bescheinigt der ehemalige NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel dem Stadtteil, viele andere Stadtplaner und auch lokale Akteure kritisieren die Zerstörung eines der wenigen nach Krieg und Flächensanierung in den 1960er und 1970er Jahren übrig gebliebenen städtebaulichen Zeugnisses für das enge Neben- und Miteinander eines bedeutenden Montanwerks und eines von dessen Besitzern geschaffenen Arbeiterstadtteils.
Meine fotografische Auseinandersetzung mit Bruckhausen geht im Besonderen auf Dekonstruktion und Defunktionalisierung des städtischen Raums ein. Sie dokumentiert, wie Schicht um Schicht eines historischen Stadtteils abgetragen wird. Die Geschichte des Stadtteils, der Region und einer inzwischen durch überkommene Produktionsweise dominierten Lebenswelt wird in dieser Durchstreichung, dem Zumauern, Zunageln und Abreißen sichtbar und ihr Funktionsdefizit für unsere gesellschaftliche Gegenwart damit erkennbar.

(1) http://www.duisburg.de/micro/ggn/
(2) ebenda
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Annette Jonak

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