Brigitte Kraemer

Das grosse Warten - Geflüchtete im Ruhrgebiet

Die Welt ist in Bewegung. Millionen von Menschen verlassen aus Angst vor Krieg, Hunger und Verfolgung ihre Heimat. In der Hoffnung auf Sicherheit, Freiheit und eine bessere Zukunft haben viele ihre Familie und ihr Land hinter sich gelassen und sich auf eine gefahrvolle Odyssee in die Mitte Europas begeben. Mehr als 900.000 Menschen haben innerhalb eines Jahres den Weg nach Deutschland gefunden. Gut zwei Drittel von ihnen fand eine erste Aufnahme in Nordrhein-Westfalen. Die fünf Erstaufnahmeein-richtungen in Bielefeld, Dortmund-Hacheney, Dortmund-Buschmühle, Unna-Massen, Bad Berleburg und Burbach, allesamt im westfälischen Landesteil gelegen, kümmerten sich um eine erste Versorgung und haben die Menschen nach kurzem Aufenthalt auf Unterkünfte im ganzen Land verteilt. In kürzester Zeit wurden Wohnungen bereitgestellt, entstanden Notunterkünfte in Sporthallen, Containern und Zelten.
Diese Situation bedeutet eine große Herausforderung für alle: Geflüchtete, die sich mit ihren wenigen Habseligkeiten auf ein Leben in Sammelunterkünften auf engstem Raum und ohne Privatsphäre einlassen müssen; Verwaltungen, die im Rahmen der Verordnungen improvisieren, um den Menschen helfen zu können; Anwohner, die sich auf die neuen Einrichtungen und ihre Bewohnern einlassen müssen und Helferinnen und Helfer, die ihre Freizeit investieren, um die Menschen bei der Orientierung in der neuen Umgebung Hilfestellung zu geben.
Für die Geflüchteten sind die ersten Wochen und Monate in Deutschland geprägt von großer Ungewissheit, aber auch von Hoffnung: Ungewissheit darüber, ob und wie lange der Aufenthalt in Deutschland gewährt wird. Und Hoffnung auf eine eigene Wohnung, auf Arbeit und eine bessere Zukunft.
Für Viele folgt nach der Registrierung und dem Antrag auf Anerkennung als Kriegsflüchtling oder Asylberechtigter eine lange Zeit des Wartens auf die Entscheidung. Das große Warten – so hat die Fotografin Brigitte Kraemer diese Zeit der Geflüchteten in Westfalen erlebt. Sie hat sich zu den geflüchteten Menschen begeben, ist ihnen mit großer Offenheit begegnet und hat von vielen Vertrauen geschenkt bekommen. Vertrauen, dass große Nähe und unbefangene Blicke möglich macht. So ist innerhalb eines guten Jahres eine eindrucksvolle Reportage entstanden, die den Alltag der geflüchteten Menschen im Westfalen und dem Ruhrgebiet zeigt und dabei die Menschen und das Menschliche in den Vordergrund rückt: Momente des Innehaltens und der Trauer, aber auch der Tatkraft und der Lebensfreude - ungeachtet der schwierigen und improvisierten Lebensverhältnisse. Die Bilder machen deutlich, worum es jenseits von Politik und Medienrummel geht: um Menschen, die ihr Leben meistern wollen.
Die Menschen in Westfalen und dem Ruhrgebiet habe eine lange Erfahrung in der Gestaltung des Zusammenlebens. Massenhafte Auswanderung auf der Flucht vor Hunger und Unterdrückung der Freiheit haben das Land vor rund 150 Jahren ebenso geprägt wie hunderttausende von Menschen, die auf der Suche nach Arbeit oder Abenteuern in das Industriegebiet gezogen sind. Flüchtlinge und Vertriebene der Nachkriegszeit, Displaced Persons, angeworbene Gastarbeiter, politische Flüchtlinge, Boat-People, Aussiedler, Asylsuchende oder Bürgerkriegsflüchtlinge – viele Millionen Menschen sind in den letzten Jahrzehnten in die Region gekommen.
Oft ist vom Schmelztiegel Ruhrgebiet die Rede. In Zeiten nach dem Rückzug der Schwerindustrie, aber auch angesichts der Individualität und Vielgestaltigkeit der Menschen trifft dieses Bild jedoch heute nicht mehr. Der Gedanke, der ihm innewohnt jedoch schon: die lange Erfahrung mit Zuwanderung und der Fokus auf die Menschen – das sind wohl zwei wichtige Faktoren, die das Zusammenleben hier in Westfalen gut ermöglichen können.

Dietmar Osses (Museumsleiter Zeche Hannover, Bochum)
© Sämtliche Nutzungsrechte an den abgebildeten Fotografien liegen bei Brigitte Kraemer

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