Vladimir Wegener

Alles im Fluss

Der Wandel des Ruhrgebiets ist zur Hoffnungsdevise der Region geworden. Auch wenn das Ruhrgebiet eine vergleichsweise junge Geschichte hat, hat diese sich umso stärker in seine Topographie eingeschrieben: Die Montanindustrie bestimmt das Erscheinungsbild und die Außenwirkung der Region, auch wenn sie als Wirtschaftszweig längst ihre Bedeutung verloren hat.
Der Bergbau im Ruhrgebiet, der im vergangenen Jahrhundert zum Wirtschaftswachstum für die Bundesrepublik beigetragen hat, ist beispielhaft für ein konkurrierendes Wechselverhältnis zwischen Mensch und Natur. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden industrielle Bauten und rapide wachsende Städte ohne Rücksicht auf Verluste auf Seiten der Umwelt – mittlerweile, da viele der Architekturen ihren Nutzen verloren haben, beginnt die Natur sich in Form von Wildwuchs über historisch gewordene Bauten zu erheben.
Das, was die Landschaft des Ruhrgebiets geprägt hat, ist schnell zum Symbol des Verfalls geworden und scheint den gesamten Ballungsraum zu einer Suche nach einer neuen, besseren Identität zu zwingen – mit Hilfe von Umgestaltung des Lebensraums.
Dabei beginnt die Stadtplanung in eine Richtung zu denken und zu handeln, die Urbanität als Form menschlichen Zusammenlebens mit der Sehnsucht nach Natur versöhnen will. Hier werden vor allem Gewässer – Flüsse und Seen – als Erholungslandschaften zur Steigerung des Lebenswerts im urbanen Raum erkannt und entwickelt.
Die Renaturierung der Emscher steht exemplarisch für eine Rückbesinnung auf Nähe zur Natur und nimmt sicherlich eine Vorreiterrolle für Entwicklungen im gesamten Ruhrgebiet ein. Doch diese Entwicklungen konzentrieren sich nicht nur auf bereits vorhandene Gewässer. Brachland wird auf spektakuläre Weise zu Seen geflutet, wie in Dortmund-Hörde, wo die Entstehung des Phoenixsees zum Volksereignis wird. Mitten in Innenstädten werden künstliche Flusslandschaften angelegt, so wie in der lange vernachlässigten nördlichen Innenstadt von Essen.
Die aufwändigen Bewässerungen haben ein klares Ziel: die Aufwertung des Stadtbildes. Damit geht auch ein Paradigmenwechsel im Lebensraum-Konzept für die Bewohner der Städte einher. Eine lange hauptsächlich auf Funktion ausgerichtete Urbanität erhält durch die Anlegung von künstlichen Wasserlandschaften, die der Erbauung und Erholung dienen, aber keinen Nutzwert im eigentlichen Sinn haben, neue Möglichkeitsräume.
Dadurch, dass mit dem Naturelement Wasser eine Veränderung des Konzeptes von Leben in der Stadt versucht wird, ändert sich hier auch das Konzept
von Natur. Denn hier tritt Wasser nicht als unkontrollierte Naturgewalt auf, sondern als menschlicher Eingriff und von Menschenhand geschaffene Heterotopie. So haben die Kunstseelandschaften und Kunstflüsse eine eigene, widerständige Ästhetik, die in einem Spannungsverhältnis zu ihrer Bestimmung der Verschönerung und Harmonisierung steht.
Dazu verhalten sich die Plan-Gewässer exemplarisch für den Versuch die Urbanität einer Region zu transformieren – mit Hilfe eines Elements, welches wie kein anderes für Veränderung und Wandel steht.
Die Serie „Alles im Fluss“ dokumentiert die planmäßigen Versuche ein Stadtbild dauerhaft und einprägsam zu verändern – und die Wahrnehmungsveränderungen, die mit der Auseinandersetzung mit künstlich geschaffenen Landschaften einhergehen. Sie hinterfragt die Realität der Landschaften, indem sie eigenständige Bildwirklichkeiten transformiert und stellt die Wirkungsästhetik der Kunstgewässer gegen die Absichten ihrer Planer.
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